Montag, 28. Februar 2011

Sans Soleil – Unsichtbare Sonne

Heute auf RNN – Rafman News Network: Eine Filmkritik zu einem fast vergessenen Stück Filmgeschichte...


Sans Soleil – Unsichtbare Sonne
Ein Essayfilm von Chris Marker,
Frankreich, 1983


„L'Éloignement des pays répare en quelque sorte
la trop grande proximité des temps.“
 (Die Entfernung der Länder gleicht irgendwie die übergroße Nähe der Zeiten aus.“ - Racine)




 So die einleitenden Worte von Sans Soleil, die dem Zuschauer schon einmal ganz vage einen Einblick in die Perspektive des Films geben: Es geht um Zeit, um ihre Bedeutung in verschiedenen Kulturen, um Nähe und Grenzen... und um vieles mehr.

  Typisch für sein Genre zeigt dieser Essayfilm eine ganz subjektive, assoziative Sichtweise – man ist wie gefangen in den philosophischen Gedanken von Sandor Krasna (ein Pseudonym von Chris Marker, der diesen Film fast völlig im Alleingang ersonnen, gedreht und – unter dem Namen Michel Krasna – sogar vertont hat), aber auch in eigenen Assoziationen.

  Sandor ist ein fiktiver Weltenbummler, der seine Reisen mit einer tragbaren Kamera dokumentiert. Seine Geschichten werden präsentiert in Form von gelesenen Briefen (in der deutschen Version ist die Stimme von Charlotte Kerr zu hören), so dass die scheinbare Erzählerin in den Hintergrund rückt und mit den Worten „Er schrieb mir...“ nur als Sprachrohr dient. Dabei ist weder Sandor noch die Erzählerin jemals im Bild erkennbar. Auch wenn die Stimme der Erzählerin verstummt, merkt erst spät, wie lange der Film schon ohne Kommentar gelaufen ist, so tief lässt er einen in die eigene Gedankenwelt eindringen.


  Der Titel Sans Soleil ist übernommen von einem Liederzyklus Modest Mussorgskis mit dem gleichen Namen (Im russischen Original Без солнца; wörtl. „ohne Sonne“) – in diesen Worten findet sich zugleich die emotionale Grundstimmung des Films wieder, man fühlt sich beim Ansehen etwas leer, ähnlich wie beim Betrachten eines wolkenverhangenen Himmels. Das musikalische Thema lässt sich hin und wieder erkennen, allerdings ist meistens ein schwer definierbares Klang-Gewirr zu hören, oder einfach nur die Umgebungsgeräusche der interessanten Szenarien.

  Der Ton ist in Sans Soleil vom Bild völlig losgelöst – dies gilt nicht nur für die gesichtslose Erzählstruktur, sonder auch rein technisch gesehen: Ton und Bild wurden mit nicht synchronisierten Geräten getrennt aufgenommen; so hört man nie genau das, was man auch sieht.

  Was man sieht, ist dafür umso faszinierender: Schauplatz ist vor allem Japan (mit Schwerpunkt auf Tokyo), im Kontrast dazu steht Guinea-Bissau, eines der unterentwickeltsten Länder unseres Planeten. Allerdings bieten sich auch etliche andere Schauplätze aus aller Welt, darunter San Francisco und die Îsle de France.

  Dabei wird auf Details wert gelegt, und auf eine differenzierte Betrachtungsweise – wieviele immer gleiche Japan-Berichte hat man schon gesehen wo man über die immer gehetzten und völlig fremden Japaner staunen konnte! Bewusst nimmt Sandor Abstand von solchen Klischees (er kommentiert das sogar) und zeigt so genau das, was man in den meisten Dokumentationen zugunsten der japanischen „Roboterhaftigkeit“ unterschlägt (wobei diese im Film durchaus auch Erwähnung findet): das ruhige, fromme, fröhliche oder auch protestierende Gesicht Japans, festgehalten in vielen beschaulichen Aufnahmen.

  Diese unterschiedlichen Gesichter, oder besser gesagt Blicke, spielen eine ganz entscheidende Rolle in Sans Soleil. Ausführlich schildert Sandor die unterschiedlichsten Arten wie Menschen in aller Welt „schauen“. Dabei wird aus einem lange zurückgehaltenen und dann doch direkten Blick einer Schwarzafrikanerin ein kleines Ereignis, das den Zuschauer durchaus fesseln kann.

  Auch die erweiterte Bedeutung des Sehens, im Sinne einer „Sichtweise“, wird an den menschlichen Blick angeknüpft. So sucht Sandor die Parallele zwischen der japanischen Betrachtungsweise des Todes mit dem Blick den man an japanischen Kindern feststellen kann, wenn sie mit dem Thema Tod in Berührung kommen.

  Das „Schauen“ an sich und das „Zuschauen beim Schauen“ werden vielfach reflektiert – wissen die Tanzgruppen in Tokyo, dass sie beobachtet werden? Wie ehrfurchtsvoll schauen die Japaner auf die Reliquien des Vatikan, fremde Heiligtümer zu Gast in ihrem Land? Und was ist es für ein erleichterndes Gefühl in einer Bar zu sitzen, wo sich die Leute einfach nur ungeniert anschauen können?

  Dem Blick des Zuschauers selbst wird sehr viel Zeit gelassen in Sans Soleil. Anders als in vielen anderen Filmen, hat man wirklich die Gelegenheit etwas in aller Ruhe zu betrachten – fast so als wäre man selber am Schauplatz des Geschehens und würde mit verträumtem oder auch neugierigem Blick die Umgebung in sich aufnehmen. Besonders deutlich wird das bei der Beobachtung eines Ticketkontrolleurs der Tokyoter Bahn, dessen monotone und doch hastige Arbeit man mit starrem Blick für scheinbar endlose Sekunden passiv mitverfolgt. Auch die Aufnahme des Video-Synthesizers zeigt alle technischen Details dieses Apparats mit ungewohnter Sorgfalt.

  Dieser Video-Synthesizer dient als eines der zentralen Elemente des Films – in ihn werden die verschiedenen Aufnahmen eingeschleust und so verändert, dass man erkennt, dass die Bilder nichts weiter sind als Bilder – und keine „portablen Realitäten“. Die verschiedenen Effekte des Synthesizers färben das Bild in fast schon psychedelischen Farbkombinationen, machen schließlich nur noch Konturen erkennbar – und doch sind die wichtigen Details vorhanden, sodass man am Schluss all die Szenen auf dem Synthesizer-Bildschirm wiedererkennt.


  Großen Einfluss auf Chris Marker hatte der Film Vertigo – als Hommage werden an einer Stelle von Sans Soleil einige der Originalschauplätze in San Francisco besucht und mit den Bildern von damals verglichen. Der Vertigo-Effekt selbst hat sich bei einigen Effekten ebenfalls eingeschlichen, oder zumindest Varianten davon. So zum Beispiel, wenn Auszüge aus japanischen Filmen in bedrohlicher Weise nebeneinander gefügt sind und mithilfe einer Fokusverschiebung ein Näherkommen suggeriert wird.

  Unverändert präsentiert wird an vielen Stellen altes dokumentatives Bildmaterial, teils in schwarz-weiss oder mit mangelhaften Farben. Dies macht den Film zu einer Patchworkdecke an Eindrücken. Oft werden alte Archivaufnahmen dann mit aktuelleren verglichen – sei es rein verbal oder wirklich in einer verblüffenden Gegenüberstellung fast deckungsgleicher Bilder aus verschiedenen Jahrzehnten.

  Doch auch mit Kontrasten spielt Marker oft, das krasseste Beispiel ist hier wohl die Szene mit den japanischen Kindern, die immer wieder mit Aufnahmen einer Giraffenjagd durchschnitten werden, bis schließlich nur mehr die Szene der ausblutenden Giraffe zurückbleibt.


  Generell muss erwähnt werden, dass der Film schon an einigen Stellen auf die Magengrube schlägt, wenngleich die dargestellten Szenen von toten/sterbenden Tieren und Menschen meist eher nüchtern in den Raum gestellt werden. Andererseits kann auch ein sehr liebervoller Blick auf die Tierwelt festgestellt werden – selten wird Hunden, Katzen, Emus und anderen so viel Raum für ihre eigenen Geschichten (bzw. ihren Anteil an unserer Geschichte) geboten wie in Sans Soleil.

  Abschließend lässt sich sagen: Um den Film wirklich genießen zu können, ist ein fundiertes Allgemeinwissen sowie gewisse Kenntnis der dargestellten Kulturen von Vorteil. Was den meisten Zusehern als rätselhafte Bildersprache erscheint, offenbart dann, wie gut Marker sich vor allem mit den japanischen Besonderheiten auseinander gesetzt hat.


  Ein Film für Geduldige, für Nachdenkliche – und für Menschen die den neugierigen Blick der Kinder noch nicht verlernt haben. 

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